André Gazsó: Was bleibt, ist das Bild

Die Ikonomanie unserer Zeit, die zwanghafte Vervielfältigung und Vermassung visueller Eindrücke durch die Produktion von Wirklichkeitskopien, degradiert gerade durch die technisch bedingte Mühelosigkeit jede optische Wirklichkeit zur reinen Information. Doch Information ist nicht Wissen. Die allgegenwärtige Bilderflut verstellt uns längst durch ihren rein chronologischen Aktualitätsanspruch den Blick auf das Gesehene, mithin das Wesentliche erlebter Wirklichkeit. Wir sehen ohne zu erfassen. Die Bilder ziehen an uns vorbei, unser Blick geht durch sie hindurch ins Leere.

Unter diesen Voraussetzungen könnte man allzu leicht, jedoch auch vorschnell, das Ende der Malerei auf Leinwand voraussagen. Doch selbst dort, wo in resignativer Ratlosigkeit ein solches Ende diagnostiziert wird, lebt die Fortentwicklung des Tafelbildes mit einer Intensität weiter, die sich nur aus der Hingabe der jeweiligen schaffenden Persönlichkeit an das Darzustellende erklären läßt. Das Ende der Malerei ist somit eigentlich das Problem jener, die nicht tätig mit ihr befasst sind. Künstler, wie Kurt Welther und Julia Welther-Varga, verstehen die Malerei als evolutive Fortsetzung bildhafter Wirklichkeitsdarstellung.

Vor diesem doppelten Antrieb, nämlich der jahrtausende alten Tradition, optisch registrierte Wirklichkeit bildhaft zu transzendieren und auf diese Weise erst ihr Wesen sichtbar zu machen, und dem Willen des Künstlers, diese Tradition fortzusetzen und von ihr ausgehend neue Phantasieräume zu erarbeiten, sollte eigentlich jeder intellektuell motivierte Nachruf auf die Malerei kapitulieren. Solange es noch Maler gibt, die sich der Mühe unterziehen wollen, im visuellen Eindruck das Wesentliche des Gesehenen vom Unwesentlichen zu scheiden und so erst zu einem Bild zu machen, wird alles Gerede vom Ende der Malerei als akademische Beschäftigung entlarvt.

Der Maler betrachtet seine Welt, als würde er sie gleichzeitig zum ersten und zum letzten Male sehen. Erst aus dieser Unmittelbarkeit des Zuganges zur Gegenwart finden Vergangenheit und Zukunft Eingang in den aktuellen Schaffensprozeß. Im Moment der Hingabe an das Bild in seiner Gestaltung entsteht Ewigkeit. Unter Zurücknahme eigener Attitüden, den Zufälligkeiten persönlicher Eigenarten, entsteht der persönliche Stil. Indem das Wesen des Dargestellten vom Maler erfaßt wird, beginnt das Bild zu leben, fortzuleben, und es wird solange gültige Wirklichkeit besitzen, solange sich auch nur ein Betrachter findet, der gewillt ist, dieses Bild auf die gleiche Weise zu betrachten, wie derjenige, der es geschaffen hat.

Jede wahre Kunst ist nämlich Ausdruck des allgemein Menschlichen: Fragen, die sich der Mensch als wahrhaft Heimatloser in dieser Welt stellen muß, und denen er sich stellen muß. Insofern ist Malerei, wie jede redliche Tätigkeit des Menschen, die ständige Auseinandersetzung des Einzelnen mit den grundlegenden Fragen menschlicher Existenz und der Suche nach zeitgemäßen Antworten. Diese Antworten sind keine endgültigen, sie sind immer nur vorläufige, zeitgebundene, jedoch möglichkeitserweiternde. Der Maler schafft wie ein Forscher momentane Stabilität inmitten kontinuierlicher Veränderung, und insofern er das Wesen des Menschen im Dargestellten zu erfassen im Stande ist, besitzen seine Bilder Gültigkeit für alle Zeiten. Malerei ist – wie die Philosophie – der Ausdruck der Teilhabe des Menschen an der Ideenwelt, sie ist der ewige Dialog des Geistes über die Jahrtausende. Insofern wird jeder, der an diesem Dialog je Teil hatte, jedes gestalterische Vor-Bild also, so historisch ferne es auch sein mag, im ernsthaften Schaffensprozeß zum Zeitgenossen, d.h. zur gültigen Wirklichkeit des bereitwilligen Betrachters.

Kurt Welther (geboren 1957) lebt und arbeitet in Berndorf, südlich von Wien. Nach einer Lehre als Textilmusterzeichner beginnt er 1975 das Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien in der Meisterklasse von Anton Lehmden. Bereits während seiner Lehrausbildung erhält er 1975 den Meisterschulpreis und den Preis des Landes Salzburg beim Österreichischen Graphikwettbewerb. Mehrere Studienreisen führen ihn nach Rumänien, Italien, Spanien und zuletzt nach Mexico, mit dessen reichhaltiger, traditioneller Kultur er sich in den letzten 10 Jahren intensiv auseinandersetzt. Dies führt 1998 schließlich zu einer viel beachteten Ausstellung im Museo de Arte Moderno in Mexico City.

Kurt Welther versteht sich als Maler der Gegenständlichkeit und das konsequent, denn er bezieht in seine Werke auch solche Elemente mit ein, die – wie etwa Schriftzeichen – keine Gegenständlichkeit besitzen. Indem Gegenstände zu Mustern, Muster zu Bildobjekten werden, entsteht durch mehrfache Überlagerung der Gegenstandsebenen eine Spannung, die den Betrachter gleichzeitig ein allzuleichtes Eindringen in seine Bilder unmöglich machen und seinen Blick erst in das Bild hineinziehen. Durch Welthers Bilder kann man nicht hindurchsehen.

Die gewählten Motive, immer von Neuem zum Ausgangspunkt einer viefältigen Darstellung gemacht, geben einen Hinweis auf Welthers zentrales Thema. Es ist die vom Menschen inmitten der Vielfalt gemachte und immer wieder herzustellende Erfahrung der Gemeinsamkeit. Selbstheroisierende, verklärende, allürenhafte Einsamkeit des Künstlers ist Welthers Sache nicht. Ob es nun die Tischstilleben (er nennt sie „Essensbilder“), die vielfältig variierten Portraits seines Vaters (die „Vaterbilder“) oder seine Hommagen auf alte Meister wie Tizian oder Goya sind: Welthers Absicht ist es, die Verbindung zwischen sich und dem Dargestellten sichtbar zu machen. So sind etwa seine Hommagen, so karikaturistisch sie auf den ersten Blick auch anmuten mögen, keine respektlosen Parodien auf die Vorlagen, keine destruierenden Zerrbilder eines unzulänglichen Epigonen, sondern Ausdruck respektvoller Auseinandersetzung mit den Wurzeln der Malerei überhaupt. Welther möchte seine Vorbilder nicht erledigen. Die Tradition empfindet er nicht als unüberwindbares und daher zu beseitigendes Hindernis, sondern als notwendige Basis für das eigene Schaffen. Indem Welther als aufmerksamer Schauender die ewige Gültigkeit historischer Vorbilder zu erfassen in der Lage ist, ihm seine Vor-Bilder also zu gegenwärtiger Wirklichkeit werden, verleiht er seinen eigenen Werken Kontinuität und geht gleichzeitig über sie hinaus.

Julia Welther-Varga (geboren 1955 in Siebenbürgen, Rumänien) lebt und arbeitet seit 1984 in Berndorf, südlich von Wien. Nach dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Klausenburg, Rumänien, emigriert sie 1984 nach Österreich und erhält 1989 den Förderungspreis der Salzburger Landesregierung. Neben Einzelausstellungen in Rumänien, Ungarn und Österreich nimmt sie auch an zahlreichen Gruppenausstellungen im In- und Ausland teil.

Ausgangspunkt von Welther-Vargas Gemälden ist die Fotografie, die nicht als Wirklichkeit begriffen wird. Die fotografische Abbildung ist bestenfalls eine unzulängliche Darstellung der Wirklichkeit. Für Welther-Varga ist Malerei die Umsetzung des Wesentlichen der visuellen Wirklichkeit, somit kommt das Bild durch seine malerische Umsetzung wieder näher an diese Wirklichkeit heran. Während dem Druckraster der fotografischen Darstellung ein gleichbleibender Algorithmus zugrunde liegt, der die Wirklichkeit nur nach Unterschieden der Lichtreflexion darstellt, setzt Welther-Varga den Raster in vielfältiger Weise nach eigenem Willen ein. Nicht aus jedem Foto kann ein Bild gemacht werden, sondern nur aus jenem, zu dem ein stimmungsmäßiger Bezug der Künstlerin zum abgebildeten Gegenstand vorhanden ist. Natur wird nicht einfach von einem Bild der Natur abgemalt. Natur als Gegenstand komplexen persönlichen Wechselbezugs muß immer nachempfunden werden. Dabei ist Naturdarstellung keiner Beliebigkeit ausgesetzt, die dargestellten Elemente, ihre Farbgebung, ihre Positionierung sind Ergebnis methodischer Selbstbeschränkung. Abstrakte Formen, die Welther-Varga als Bildelemente in ihren Naturdarstellungen einsetzt, die also in der Natur so nicht vorkommen, sind keine beliebigen Ausschmückungen, sondern diese Formen werden in Welther-Vargas Bildern selbst zur Natur und fügen sich in diese ein. Ebenso verhält es sich mit den verwendeten Farben, die nicht wie Ölfarben organische, sondern chemische Substanzen sind. Ihre synthetische Herkunft ist in Welther-Vargas Bildern nicht mehr spürbar, die Farbgebung bewegt sich im natürlichen Farbregime. Ohne Ausnahme werden Farbnuancen verwendet, die in der Natur auch so vorkommen. Insofern steht der aufwendige technische Herstellungsprozeß von Welther-Vargas Bildern, der Ausdruck ständiger experimenteller Beschäftigung mit der Materie und deren Handhabung durch die Künstlerin ist, der endgültigen Darstellung nicht im Wege, sondern ist die komplexe Grundlage zur adäquaten Abbildung ebenso vielfältiger Natur.

Dr. André Gazsó