Peter Zawrel: Herzeigen

Die Akt-Bildnisse Kurt Welthers – realistische Malerei im photographischen Zeitalter.

Kurt Welther wurde in den achtziger Jahren in Österreich mit großformatigen, virtuos gemalten Bildern bekannt, deren Titel- zum Beispiel “Ein besinnlich heiterer Abend mit Michael Heltau“ – genauso irritierten wie das scheinbar unzeitgemäße, abstrahierende Herangehen an ein realistisches Bildsujet selbst; dies umso mehr, als Welther erklärende Texte als Bildunterschriften auf die Leinwand malte, manchmal auch in das Bild integrierte. (Im zitierten Beispiel liest sich das so: “Ein besinnlich-heiterer Abend mit Michael Heltau war das Weltspartagsgeschenk der Sparkasse Baden an ihre Geschäfts-

freunde. Unser Bild zeigt den Künstler flankiert von Vorstandsdirektor Dr. Greisinger und Bürgermeister Wallner.“) In einigen Fallen beanspruchen diese Texte die Hälfte und mehr der Bildfläche. Sie verleihen den Bildern einen vordergründig politisch-gesellschaftskritischen Anstrich, der bei oberflächlicher Betrachtung ihre malerischen Quali-

täten verdecken konnte. Eine vielbeachtete Ausstellung in der Wiener Kunst-Foundation einer gewerkschaftlichen Großbank mit einer bemerkenswerten Eröffnungsrede des bekannten österreichischen Dramatikers Peter Turrini über die Decouvrierung der Provinz in den Bildern Kurt Welthers – die auch als Katalogtext erschien -tat ein übriges, um die Kunst-Szene darüber hinwegzutäuschen, daß hier einer der interessantesten österreichischen Maler der mittleren Generation auf dem Weg war, sich zwischen neo-expressiver und neo-konstruktiver, in jedem Fall jedoch abstrakter Kunst, sein eigenes, unverwechselbares Terrain zu erobern. Die mit dem hier vorliegenden Katalog erstmals publizierten Akt-Bildnisse sind das vorläufige, in sich jedoch gültig formulierte Ergebnis dieses Kampfes um eine malerische Synthese von abstrahierter Bildwirklichkeit, Zurücknahrne der künstlerischen Handschrift und obsessiver Wahrheitssuche am hergezeigten Gegenstand.

Die Vorlagen für seine früheren Bilder fand Kurt Welther in den Provinzblättern seiner Heimat südlich Wiens. Was uns in den Klatschspalten der großen Boulevardzeitungen als – in Geschmacklosigkeit gekleidete – Ideologie daherkommt, ist dort noch Bestandteil einer für das Individuum unmittelbar gesellschaftlich relevanten Kommunikation, sind doch die Dargestellten und ihre Betrachter identisch. Sie zeigen – um mit Peter Turrini zu sprechen – sich selbst, was sie in Wahrheit gar nicht sind, nämlich “ein von Wider-

sprüchen gereinigter Mensch“. Der wesentliche Gestus, in dem sich diese Sehnsucht entäußert, ist das öffentliche Herzeigen. Indem Kurt Welther dieses Herzeigen in der künstlerischen Reflexion des Geschehenen verdoppelt hat, hat er die drin enthaltenen Widersprüche aufgedeckt, das Nicht-Authentische, das Verlogene. Die malerisch den

Bildgegenstand abstrahierende Darstellungsweise und ein in der Bildfläche oft diffus gelassener Bildraum verleihen diesen Szenen eine unwirkliche Atmosphäre, die das Allgemeingültige, Wiederholbare und Belanglose der von den Bildtiteln erzählten Alltagsgeschichten berührend offenbart, ohne die handelnden – weitgehend gesichtslosen – Personen zu entlarven. Dafür wäre der Einsatz photorealistischer Maltechniken adäquat gewesen, mit denen Welther sich allerdings in den neueren Arbeiten – und zwar ungewöhnlich – auseinandersetzt.

Die, im vorliegenden Zusammenhang zu ausführlich erscheinende. bisher jedoch unterbliebene Reflexion der älteren Arbeiten Kurt Welthers im Hinblick auf ihren künstlerischen Charakter -auf ihre Abbildung wurde bewusst verzichtet, sind sie doch im Katalog von 1989 erschöpfend dokumentiert – macht uns die jüngeren Akt-Bildnisse umso zugänglicher. An ihnen besticht zunächst ein dreifacher sinnlicher Reiz: der des nackten weiblichen Körpers an sich; jener eines wie beiläufig erscheinenden Ambientes, das den Bildern einen voyeuristisch-dokumentarischen Charakter verleiht; und schließlich der Reiz einer durchgehenden Komposition jedes einzelnen Bildes auf zwei Ebenen, jener der Farbgebung und jener einer malerischen Struktur, deren Herstellung selbst für den geübten Blick nicht immer leicht zu verstehen ist – sind diese Leinwände doch fast ausschließlich mit Malerwalzen bearbeitet, die üblicherweise zum Ausmalen von Wohn­ räumen und zur Vortäuschung bestimmter Oberflächenstrukturen – Holzmaserungen, Marmor -verwendet werden. Nur wenige, in der Reproduktion schwer erkennbare, zugemalte Flächen verraten einen Pinselstrich. Alles andere, selbst die Konturen, sind mit Walzen („Strichwalzen“) gemalt. Die Reproduktion vermag daher durchaus den Eindruck einer Druckgraphik zu erwecken, während das Original den Betrachter zuerst einmal – verunsichert – alle seine Sehraster vom Pointillismus bis zum Photorealismus durchforsten lässt.

Einen zusätzlichen Anreiz bieten der Neugierde des Betrachters auch die Bildtitel: „Birgit vor rosa Strauch“, „Roswitha mit Hausbar“ usw. Die konkreten Bennenungen der Frauen und Situationen unterstreichen den Portaitcharakter der Figuren und evozieren durch die Preisgabe der Vornamen -selbst wenn sie erfunden wären -eine intime Atmosphäre, die in der malerischen Behandlung der Leinwand jedoch kein Äquivalent findet.

Die Vorlage für diese Arbeiten sind wiederum, wie vorher, Photographien, allerdings keinen vorgefundenen Abbildungen in Zeitungen, sondern von Weither selbst hergestellte Aktphotos, die innerhalb eines kommunikativen Prozesses entstehen, der oft auch die Familien des Künstlers und des Modells mit einschließt. Maler und Modell leben im Regelfall in derselben Gegend, sind Nachbarn, kennen einander schon seit längerem und reagieren wechselseitig auf eine Bereitschaft des Herzeigens einerseits und auf ein Interesse des Abbildens andererseits. Damit heben sich die Akt-Bildnisse Kurt Welthers klar von der Tradition der klassischen Aktmalerei ab. Weder leitet ihn ein akademisches Interesse am – anonym bleibenden! – Modell, noch der Wunsch des Auftraggebers nach ani merender Darstellung einer ihm nahestehenden Person, wie er sich in der Salonmalerei vergangener Jahrhunderte und davor, verdeckt, in mythologischen und Heiligen-Bildnissen äußert. Lediglich an die schmale Traditionslinie des Akt-Bildnisses der Frau des Künstlers knüpft Welther an, wenn er seine Frau am Herd oder vor dem Spiegel zeigt. Aber auch diese Bilder verraten nichts von einem emotionellen, geschweige erotischen Affekt des Künstlers gegenüber seinem Modell, wie er etwa aus jedem Pinselstrich des berühmtesten Beispiels dieses Genres, Rubens‘ „Pelzchen „, aufleuchtet.

Ebenso eigenwillig wie zur Aktmalerei verhalten sich Elisabeth, Gitta, Vroni und die anderen zur Portraitmalerei. Portraits im Sinne photographischer Abbildungen standen ja auch hinter Welthers älteren Arbeiten, an denen ihn-dem künstlerischen Vorbild Francis Bacons folgend – malerisch jedoch mehr das Typologische interessierte, während das konkret Individuelle der gezeigten Personen den Bildlegenden ZU entnehmen war. Mit der expressiv psychologisierenden Portraitkunst österreichischer Prägung, die gleichsam auch immer eine Selbstdarstellung des Künstlers oder seiner situativ gebundenen Befindlichkeit gegenüber dem Portraitierten miteinschließt – exemplarisch seien Schiele, Kokoschka, Boeckl oder Sergius Pauser genannt -, hat Weither auch in den neuen Arbeiten nichts im Sinn. Ihre Referenzen finden wir abermals im englischsprachigen Raum: David Hockney, einer der bedeutenden Portraitisten dieses Jahrhunderts, hat eine Reihe von gleichformatigen Bildnissen seiner Freunde gemalt, denen jeweils zahlreiche Photographien zugrunde liegen. Hockney hat diese Bilder konstruiert, indem er sie aus verschiedenen Vorlagen und Perspektiven zusammengebaut und Details auch nach der Natur gemalt hat. Seine Modelle zeigen sich her, ohne, dass der Blick des Künstlers sie bewertet oder interpretiert ; eher ließe sich von einer Rekonstruktion sprechen. Die Ambiente bei Kurt Weither sehen nur oft aus wie konstruiert, sind aber immer vorgefunden und wirken daher nicht zufällig wie punktuell belebte Interieurs von Roy Lichtenstein, der seine Vorlagen den „Yellow Pages“ (Inseraten-Seiten) der Telefonbücher entnimmt. Den Rasterungen und geometrischen Gestaltungen der Objekte in der Bildebene bei Lichtenstein entspricht die einheitliche Strukturierung größerer Teile der Leinwand mittels der Walzentechnik bei Kurt Weither, wodurch die quasi photorealistische Absicht evoziert wird, jedem noch so kleinen Detail des Bildgegenstandes die selbe Bedeutung zuzumessen. Während der Photorealist jedoch die zwischen dem vergrößerten Korn des Photopapiers frei werdende Flächen auf der Leinwand mit dem Luftpinsel ausfüllt, erzeugt die Walze eine „Rasterung “ als Abbild einer -imaginären -„Vergrößerung “ im Sinne einer Nahsicht, die alle Unschärfen der Perspektive einebnet.

In seinen älteren Arbeiten hat Weither auch schon Walzen verwendet, dort stehen sie noch in einem Gegensatz zum Duktus einer insgesamt doch sehr offenen Malweise, wie sie noch ausgeprägter in einer Reihe von Bildern aus den Jahren 1985-1986 anzutreffen ist, die ebenfalls auf Abbildungen in Zeitungen zurückgehen, aber sehr allgemeine Titel tragen („Gipfeltreffen „, „Erinnerung an den Futurologenkongreß“), die auf Ereignisse von politischer, überregionaler Bedeutung hinweisen. Den Weg von dort über die Darstellung des öffentlichen Herzeigens individueller Sehnsüchte und Wunschvorstellungen von einem besseren Leben zum privaten Herzeigen des eigenen Körpers – der erst durch die künstlerische Präsentation zu einem „öffentlichen Akt“ wird -entspricht die konsequente Zurücknahme dessen, was als persönliche, individuelle Handschrift des Künstlers gedeutet werden könnte. Kurt Welther beschränkt sich auf die Wahl einer für die jeweilige Frau leitmotivischen Farbe für die Grundierung der Leinwand und die Konturen und -auf den Akt des Knipsens.

Dieser Begriff wird hier ganz bewusst und vollkommen ohne abwertende Absicht gewählt. Denn das photographische Umfeld, in welches sich Kurt Welther mit diesen Akt-Bildnissen einschreibt, wird weder von der klassischen Akt-, noch der ebensolchen Portrait-Photographie abgegrenzt, sondern einerseits -letztere betreffend- von konzeptuellen Ansätzen, wie sie etwa bei den Deutschen Photokünstlern Thomas Ruff und Bernhard Prinz aufscheinen, und andererseits von der Tradition anonymer Knipser­Akte, die so alt ist wie die Geschichte der Photographie selbst und vom beiläufigen Schnappschuss bis zur pornographischen (Selbst-)Darstellung in Kontaktmagazinen reicht.

Kurt Welther behauptet auch in diesem Spannungsfeld eine sehr eigenwillige Position.

Die photographischen Portraits des etwa gleichaltrigen Thomas Ruff sind anonym, tragen keine Namen. Sie sprechen den Betrachter unmittelbar an, indem sie eine unverbindliche Begegnung, vielleicht sogar Identifikation ermöglichen, die das Gewöhnliche, das Allgemein-Menschliche hervorkehrt. Bernhard Prinz dagegen zeigt das Erhabene der sich darbietenden Frauen, deren Gestik im Wechselspiel mit den allegorischen Titeln („Demeter“, „Procura“) eine emblematische Struktur herstellt, in welcher Erotik als ein Abstraktum aufgehoben ist. Die Frauen Kurt Welthers sind nicht anonym (ausgenommen das „Ehepaar vor beleuchtetem Backrohr“) und bieten sich nicht dar, erwecken keine Zuwendung und transportieren keinen symbolischen Gehalt (ausgenommen die „Heilige Beata „). Weder die Modelle noch der Künstler scheinen an einer Inszenierung interessiert zu sein (ausgenommen die kokette „Mira“) und konsequenterweise handelt es sich um stehend Akte in fast ausschließlicher Frontalansicht (ausgenommen die einzige Liegende, „Nani“), die jede körperliche Unzulänglichkeit schamlos offenlegt. Nicht anders als dem diagnostischen Blick des Arztes bieten sich die Modelle unbefangen dem vertrauten Blick des Künstlers und Photographen.

Aus allen diesen Umständen resultiert eine Authentizität dieser Akt-Bildnisse, wie sie in der Akt-Photographie nur selten, etwa in einigen Arbeiten von Herlinde Koelbl oder bei Diane Arbus anzutreffen ist. Paradoxerweise geht diese darstellerische Authentizität Hand in Hand mit der Auslöschung jeden Anscheines einer Aura des Bildgegenstandes – ganz im Sinne der Pop-Art begründet in der Mechanisierung des Malvorganges. Damit ist Kurt Welther der Beweis gelungen, dass die Mittel der sogenannten „realistischen“, das heißt am Gegenstand orientierten Malerei auch im photographischen Zeitalter noch lange nicht erschöpft sind. Auch ohne spektakuläre „transmediale“ Inszenierung vermag der Dialog zwischen Photographie und Malerei unsere Wahrnehmung dessen, was sich scheinbar so beiläufig herzeigt, immer noch zu schärfen.

Von Peter Zawrel.